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Das Land am Kaukasus hat viel mehr zu bieten als seine Hauptstadt Tbilisi. Die Reise in die Wiege des Weinbaus führt über abenteuerliche Straßen, in den wahrgewordenen Traum eines Deutschen – und in eine lebendige Enzyklopädie.
Eine Reise nach Georgien gleicht einer Reise ins Ungewisse. Egal wie akribisch man sich vorbereitet, wie viele Reiseführer man liest oder Travelblogs durchforstet – ist man erst einmal da, scheint all das umsonst gewesen zu sein. Deswegen bereitet man sich am besten so wenig wie möglich auf die Reise vor – und lässt das Land ungefiltert wirken. Nur Tabletten gegen Reisekrankheit empfehlen sich selbst für diejenigen, die behaupten, jegliche Autofahrten ohne Übelkeit zu überstehen. Gaumarjos! (zu dt. Prost oder zum Wohle) sagt der Georgier an dieser Stelle und spült sie mit einem Schluck Rotwein herunter. Den bekommt man netterweise am Flughafen als Willkommensgeschenk überreicht.
Es geht nämlich nicht in die Hauptstadt Tbilisi, das wäre zu einfach. Abseits der Touristenpfade lässt sich das ursprüngliche Georgien viel besser erkunden. Wer den Rat befolgt und sich so wenig wie möglich vorbereitet, wird trotzdem nicht die Info verpasst haben, dass Georgien als die Wiege des Weinbaus bezeichnet wird – womit sich das kleine Gastgeschenk selbst erklärt.
Die malerischen Landschaften des großen Kaukasus
Wo könnte man besser auf den Spuren des Weins wandeln als in der Region Kachetien, die als das Herz des georgischen Weinanbaus gilt. Auf dem Weg dorthin kommen die Reisetabletten zum Einsatz: Der Gombori Pass gilt zwar als eine der schönsten Straßen des Landes, sein Zustand gleicht jedoch eher einer Schotterpiste mit tiefen Schlaglöchern. Trotzdem ist er die kürzeste Strecke von Tbilisi nach Telavi, der Hauptstadt der Region.
Die endlosen Haarnadelkurven und teils drastischen Höhenunterschiede drehen den Magen schnell einmal um. Belohnt wird man jedoch mit den malerischen Landschaften des großen Kaukasus, die besonders im Herbst in allen Farben leuchten. Während der höchste Punkt im Nachbarland Russland liegt, schafft es der »Shkara« in Georgien mit 5193 Metern auf Platz zwei – und ist damit fast 400 Meter höher als der Mont Blanc.
Hat man die wilde Fahrt überstanden, wartet ein wahres Kleinod – ein Dorf im Dorf. Das Hotel »Schuchmann Wines Château, Villas & Spa« lockt nicht nur mit dem eigenen Weinberg und einem einzigartigen Blick auf den Kaukasus. Hier hat sich ein Deutscher einen Traum erfüllt. Statt es im Ruhestand ruhig anzugehen, kam Burkhard Schuchmann, ehemaliger Vossloh-Manager, 2006 auf die Idee, genau hier, in Kisiskhevi, ein Weingut für die Zukunft umzurüsten. Sie beinhaltete auch das Château-Konzept, wie man es aus Frankreich kennt.
Das Schuchmanns ist eine 360-Grad Wein-Erlebniswelt. Das schon bestehende Weingut wurde um ein Hotel erweitert. Gäste können sowohl in den hauseigenen Zimmern oder den Chalets übernachten. Zum Entspannen lockt der Spa-Bereich: Hier gönnt man sich eine Weinbehandlung, bestehend aus einem zirka 40 Grad warmen Weinbad und einer Massage mit hausgemachtem Traubenkernöl. Im Anschluss zieht man mit Blick auf den großen Kaukasus seine Bahnen in einem der zwei Außenpools oder zur kälteren Jahreszeit im beheizten Innenpool. Fast schon meditativ wirken die Minuten auf der Hollywoodschaukel unter dem vollbehangenem Kaki Baum, während man die mit Schnee bedeckten Spitzen des Gebirges zählt. Die leuchtend orange Versuchung ist zu groß und man schmeckt schnell: Kakis sind in Georgien das, was in Südostasien Mangos sind: mit ihren Namensvettern aus den deutschen Supermärkten kaum vergleichbar.
Im Restaurant genießt man georgische Spezialitäten und den hauseigenen Wein, bevor Önologin Helena Riedel, eine Deutsche, die es vor rund acht Jahren erstmals in das Weingut verschlug, durch die heiligen Hallen und Keller des Hauses führt. Hier treffen die rund 8000 Jahre alte Weingeschichte Georgiens auf moderne Stahltanks, wie man sie aus Westeuropa kennt.
Inmitten einer lebendigen Enzyklopädie
Während im Schuchmanns vor allem der Genuss im Vordergrund steht, kann man ein paar Kilometer weiter, tiefer in die Weingeschichte der Region und des Landes eintauchen, und selbst Hand anlegen – solange man zur richtigen Jahreszeit reist. Mitte Oktober ist die Traubenlese zwar schon so gut wie beendet, einige Reben hängen aber noch voll. Das 1997 gegründete Weingut Shumi beherbergt auf etwa 300 Hektar eine der größten Rebsortensammlungen der Welt. Mit rund 2000 Sorten, die hier wachsen, steht man inmitten einer lebendigen Enzyklopädie. Rund 400 Traubenarten kommen aus Georgien – insgesamt wachsen zirka 500 Sorten im Land – der Rest kommt aus aller Welt. Ein Rundgang über das Gut gleicht deshalb gleichzeitig einer kulinarischen Reise – probieren erlaubt und erwünscht.
Das Besondere: Stahltanks kommen nicht zum Einsatz, wenn es um den echten georgischen Wein geht. Als die Georgier vor rund 8.000 Jahren anfingen, Wein zu kultivieren, entwickelten sie eine einzigartige Technik, die heute noch genauso funktioniert wie damals. Sie ist so besonders, dass sie 2013 von der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt wurde. Nachdem die Trauben gelesen und gepresst sind – letzteres wird nur noch zu Vorführungszwecken mit den Füßen gemacht – werden Saft und Maische in Tonamphoren gegeben. Die sogenannten »Qvevris« sind bis zum Hals in den Boden eingelassen. In ihnen reifen und lagern bis zu 2.000 Liter zwischen ein paar Wochen und Monaten, bis hin zu Jahren.
»Leere« Weine
Die georgische Methode hat einen bedeutenden Einfluss auf die Bewegung rund um »Orange und Natural Wines« im Rest der Welt – schließlich stellt das Land ihn so seit Jahrtausenden her. Ihr Namensgeber ist ihre Farbe, auch wenn sie in Georgien eher mit Bernstein (Amber) verglichen wird. Es handelt sich schlichtweg um Weißwein, der wie Rotwein hergestellt wird. Die Farbe kommt durch den Kontakt mit der Schale zustande. In Kachetien setzt man vor allem auf die Sorten Rkatsiteli, Kisi und Mtsvane Kakhuri für Weißwein und auf Saperavi für Rotwein. Das Besondere an Letzterer: Auch ihr Fruchtfleisch ist dunkelrot – was dem Wein auch sein Spitzname »schwarzer« Wein beschert. Das Besondere am Amber Wein: Hier wird man vom eigenen Geruchssinn getäuscht: Glaubt man ihm, erwartet einen ein wunderbar lieblich klarer Weißwein. In Wahrheit zieht sich im nächsten Moment die Zunge zusammen. Dafür verantwortlich sind die Tannine, also pflanzliche Gerbstoffe, die in den Traubenschalen, Kernen und Stielen vorkommen. Sie machen die 8.000 Jahre Weingeschichte erst so richtig greifbar. Nicht umsonst scherzen die Georgier, dass Weine aus dem Stahltank »leer« schmecken. Auch diesen Vergleich kann man erst nach einer Kostprobe verstehen.
Die Weinprobe ist bei Shumis obligatorisch – und spätestens nach dem zweiten Glas Wein, braucht man etwas zum Essen, um den restlichen Besuch zu überstehen. Praktisch, dass man im traditionellen Pavillon die noch nicht vorhandenen georgischen Kochkünste auffrischen kann. In der Tone, einem versenkten Steinofen, wird das Shoti-Puri vertikal gebacken. Das dünne Brot wird mit den bloßen Händen an die Wände des Ofens geklebt und abgeschabt, wenn es außen gebräunt und knusprig ist. An der nächsten Station sind Kraft und Fingerspitzengefühl gefragt: Wenn von traditionell georgischem Essen die Rede ist, wird Chatschapuri oft in einem Atemzug genannt. Das simple Käsebrot ist vereinfacht gesagt ein Klumpen Käse in Teig eingewickelt, plattgerollt und gebacken. Je nach Region wird es bereits zum Frühstück, als Snack zwischendurch oder ganze Mahlzeit gegessen. Sättigend ist es allemal. An der Zubereitung der nächsten Spezialität scheitern dafür wohl die meisten Westeuropäer: Chinkali. Die georgischen Teigtaschen ähneln Dumplings, sie werden allerdings nicht gedämpft, sondern gekocht. Deshalb ist es wichtig, dass die mit Hackfleisch gefüllten Taschen dicht zusammengefaltet sind. Spätestens nach dem dritten Versuch schmecken sie nicht nur gut, sondern sehen auch ganz ansehnlich aus. Zum Glück spielt das beim Dessert keine Rolle, denn wie die Tschurtschchelas am Ende aussehen, kann niemand beeinflussen. Unter Einheimischen sind sie als georgisches Snickers bekannt und ein beliebter Snack beim Wandern oder körperlich anstrengender Arbeit. Für die Tschurtschchelas werden Hasel- oder Walnüsse geröstet und an Schnüren in zu Sirup verkochten Traubensaft getaucht, der mit Mehl angedickt wird. Anschließend werden sie aufgehangen und härten aus.
Die georgische Spezialität gehört zu den ältesten Süßigkeiten der Welt und darf vor allem in den Bergregionen des Landes nicht fehlen. Sie gehören zur Standardausrüstung der Hirten, die zu dieser Zeit ihre Herden vom Berg in die zwei Wochen Fußmarsch entfernte Halbwüste an der Grenze zu Aserbaidschan leiten. Fährt man weiter gen Osten, kann man ihren Weg verfolgen und tiefer in das ursprüngliche Georgien eintauchen. Nicht selten hat man das Gefühl, hier sei die Zeit stehen geblieben. Kühe, Schafe, Pferde, Enten und Esel versperren den Weg. Statt sie hinter einen Zaun zu sperren, stehen die Häuser ihrer Besitzer im Sowjetstil hinter Mauern und Zäunen aller Art. Vor ihnen Bänke, auf denen sich die Nachbarschaft trifft. Verirrt man sich hierher, ohne ein Wort georgisch zu sprechen, wird man trotzdem mit offenen Armen empfangen. Die Georgier sind für ihre Gastfreundschaft bekannt: »Ein Gast ist ein Geschenk Gottes«, ist nicht umsonst das Motto, das sich durch alle Generationen zieht. Scheinbar aus dem Nichts werden Chinkali, Chatschapuri und die verschiedensten Eintöpfe gezaubert – und das in Mengen, die unmöglich bis zum Frühstück zu verdauen sind. Helfen soll Chacha – nicht der Tanz – sondern der hochprozentige Tresterbrand – und er zeigt, dass ein Wort eben doch reicht, um sich zu verständigen: Gaumarjos!
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Author: Mathew York
Last Updated: 1700010004
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