Nicht viele Beratungshäuser sind im Marketing so präsent und pointiert wie McKinsey, so die Meinung von Moritz Neuhaus (Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Ramon Costa).
“Wir haben dieses Jahr über 500.000 Euro für unser Marketing budgetiert. Anders als andere Beratungen fließt dieses Geld nicht in Flughafenwerbung, Auszeichnungen, Gütesiegel, Print-Werbung, PR oder Suchmaschinenoptimierung.”
Die Kommunikationsverantwortliche eines Beratungshauses reagierte überrascht, als wir uns abglichen. Sie budgetieren eine ähnliche absolute Summe, aber ihr Unternehmen ist fünfzehnmal so groß. Sie wirkte frustriert. Denn ihre Vorgesetzten fordern immer mehr Return von ihr oder streichen das Budget weiter ein.
Wer Marketing braucht, muss über etwas hinwegtäuschen
Das Bewusstsein über Investition in die eigene Marke scheint im Consulting häufig verkümmert zu sein. Mir fehlen die Worte, wenn ich bei Entscheidern auf den Glaubenssatz stoße, dass Marketing etwas Schlechtes sei.
Getreu dem Motto: Wer Marketing braucht, müsse über etwas hinwegtäuschen. Ganz im Sinne: “Das Produkt muss schlecht sein, deshalb braucht es Marketing”.
Ich erkläre mir diesen Glaubenssatz in der Unternehmensberatung folgendermaßen: Die letzten Jahrzehnte waren volkswirtschaftlich geprägt von Boom und Wachstum. Seit den 50er Jahren geht es - abgesehen von ein paar kurzzeitigen Korrekturen - stetig aufwärts. Exemplarisch dafür steht die Wachstumskurve von Unternehmensberatungen aus der Vorjahres-Studie des BDU 2022: 43,7 Mrd. Euro Umsatz im Gesamtmarkt, ein Plus von 15 % zum Vorjahr.
Noch heute treffe ich regelmäßig auf leitende Consulting-Partner, die zwar absolute Vertriebs-Genies sind, aber von B2B-Marketing kaum Verständnis besitzen. Ich vermute, dass Marketing in den letzten Jahren schlichtweg ein nice-to-have war. Wenn die Nachfrage - respektive der Beratungsbedarf - in einer immer volatileren Welt fast automatisch hoch ist, braucht es auch keine Demand-Generation.
Gleichzeitig sind wir in Deutschland in der luxuriösen Situation, dass Menschen miteinander Geschäfte machen, schlicht, weil sie die gleiche Sprache sprechen. Menschen kaufen nicht einfach nur von Menschen. Sie kaufen von Menschen, denen sie vertrauen. Der Faktor Sprache spielt hier eine Rolle, über die wir uns häufig keine Gedanken mehr machen. Englischsprachige Unternehmensberatungen stehen hier vor einem deutlich größeren Wettbewerbsdruck. Sie müssen spitzer positioniert sein, denn ein größerer Binnenmarkt gepaart mit internationalem, ebenfalls englischsprachigem Wettbewerb erfordert mehr Abgrenzung.
Ein weiterer Grund für das starke Wachstum des Beratungsmarkts liegt schlichtweg darin, dass die Geschwindigkeit und der Druck von Transformation in allen Branchen und Funktionsbereichen stetig zunehmen.
Ohne eine Armee an Consultants geht bei den meisten Unternehmen aktuell wenig vorwärts.
Hätte McKinsey vor 10 Jahren gedacht, dass sie einmal so Marketing betreiben wie heute?
Langsam findet im Marketing ein Umdenken statt. Wenn es um Beratung geht, dann schauen wir in der Regel zum einen auf die USA. Hier werden jährlich rund 200 Mrd. Dollar umgesetzt. Gleichzeitig fällt der Blick auf den Branchenprimus mit dem großen M. Die Beraterschmiede versteht es wie kaum eine andere, die eigene Marke in Szene zu setzen und anziehend zu gestalten. Aktuell sind sie sogar einen Schritt der Evolution voraus: McKinsey hat in den letzten Jahren so stark investiert, dass jetzt die Restrukturierung, unter anderem im Marketing ansteht.
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In vielen Beratungsunternehmen wie bei McKinsey, BCG und Bain (MBB) herrscht ein Verhältnis von 3:1 oder 4:1. Das heißt: auf drei oder vier aktive Berater kommt etwa ein Mitarbeiter im Backoffice. Dieses Verhältnis zwischen abrechnungsfähigen Beratern und Funktionen wie HR, Research und Marketing erlaubt die notwendigen Unterstützungsfunktionen, um die Arbeit der Berater zu erleichtern. In mittelständigen Beratungen sind diese Verhältnisse eher 10:1 und teilweise auch deutlich größer. Vor dem Projekt Magnolia soll das Verhältnis bei McKinsey sogar etwa bei 1:1 gelegen haben.
2015 bei meinem Erstkontakt als potenzieller Bewerber im Beratermarkt ist mir aufgefallen, dass MBB anders auftreten. Schon damals war ihr Branding gewiefter, das Corporate Design wirkte auf mich durchdachter. Nicht nur Farbgebung, sondern auch Firmenwerte, Business Mission und vor allem erste spezifisch geschnittene Workshops für Einsteiger aus Sicht von weiblichen Top-Talenten und Nicht-BWLern zeigten, dass sie sich vor der anbahnenden Trendwelle bewegten.
Ihr Premium-Branding zog auch Premium-Talente an.
Kleinere Beratungen geben sich häufig ähnlich viel Mühe, aber sind deutlich schlechter darin, diese Bemühungen in den Bewerbermarkt zu kommunizieren. In mittlerweile über 200 YouTube-Videos und Podcast-Folgen habe ich Vorstände, Deutschland-Chefs und Alumni zu ihrer Perspektive interviewt.
Side note: Weil ein paar unserer Kunden aus dem Private Equity Umfeld kommen, ist mir gesagt worden, dass einzelne Führungskräfte dort noch weiter hinterher sind. Noch vor fünf bis zehn Jahren ist hier darüber diskutiert worden, ob sie denn nun eine Homepage brauchen oder nicht. "Das passt nicht zu unserem Selbstbild." heißt es hier sinngemäß. Für mich ist das eher wieder ein Luxus, den sich vor allem Unternehmen mit gelungener Positionierung und boomender Nachfrage erlauben können.
Mitarbeiter raus - Ansichten hoch?
Wer heute durch LinkedIn scrollt, hat vielleicht gemerkt, dass auch im Consulting ein Gezeitenwechsel stattfindet. Selbst der Branchenprimus schaltet mittlerweile LinkedIn-Werbeanzeigen.
McKinsey nutzt seit einigen Monaten verstärkt Anzeigen und werbliche Artikel in Leitmedien wie dem Manager Magazin und auch Performance-Marketing auf LinkedIn, um die eigene Brand zu stärken. Zwar werden diese inhaltlich getriebenen Kacheln mit griffigen Überschriften zu den Themen Energiewende, Nachhaltigkeit, künstlicher Intelligenz und volatileren Marktbedingungen hier rege ausgespielt, einen schnellen Return werden sie allerdings nicht bringen. Sollen sie auch gar nicht. Denn McKinsey hat das Erzeugen von Nachfrage (Demand-Generation) und damit verbundenes Brand-Building verstanden. Statt schnell Kontaktdaten über Lead-Formulare abzugreifen, positionieren sie sich online als Wikipedia fürs Business. Sie bieten ihr Wissen seit Jahren in Form von Studien oder auch kurzen Artikeln an. Mittlerweile ist McKinsey klargeworden, dass es die Aufmerksamkeit der Zielgruppe trotz eigener intensiver Research immer seltener auf die eigene Homepage schafft. Wir sehen, dass LinkedIn als wichtigste Business-Plattform diesen Platz eingenommen hat. Erkenntnisse werden in der Regel direkt auf LinkedIn konsumiert.
Investieren oder vergessen werden? Warum die Marke in der Beratung Abgrenzung ermöglicht.
Dieses Auftreten des Branchen-Primus wird sich langfristig auszahlen. Denn die Vorzeigeberatung hat einen weiteren Punkt verstanden:
Marketing in der Unternehmensberatung ist keine Ausgabe, die sich nach sechs Monaten amortisiert. Es ist ein Investment in die eigene Marke, das sich über Jahre rechnet.
Nach der jahrelangen Aufbauarbeit kann jetzt Performance-Marketing genutzt werden, um die Marke mit weniger Personal im Backoffice attraktiv zu halten. In einem homogenen Dienstleistungsmarkt kann eine gut gepflegte Marke noch über Jahre das Gefühl von Einzigartigkeit vermitteln. Die Nummer #1 im Markt kann sich so etwas erlauben, weil sie vorher investiert hat, wie kein zweiter Player. BCG, Bain und Oliver Wyman sind dagegen noch im Investitionsmodus. Bei jungen Studierenden ist vor allem die Kampagne zum “Statussymbol Hirn” in Erinnerung geblieben. Im Marketing gegenüber Kunden wird neben dem Corporate Design kaum ein Unterschied festgestellt. Es ist also nicht nur ein Fehler, mit Mini-Budgets zu taktieren, die, ähnlich wie ein Medikament, eine gewisse Dosis benötigen, um die Wirkungsschwelle zu erreichen. Es ist auch naiv, jahrelang nur Vertrieb zu forcieren und dann bei der ersten Marketing-Initiative nach drei Monaten auf fette Projekte zu hoffen.
Marketing der neuen Generation in der Unternehmensberatung setzt ähnlich wie alle Transformationen voraus, dass sich die eigene Geisteshaltung ändert. Diese Aufgabe ist nicht delegierbar. Die nächste Generation an Consulting-Partnern spürt den Investitionsstau bereits. In vielen Fällen werden Beratungsdienstleistungen erst durch das persönliche Commitment einzelner Partner erlebbar. Der Lohn? Wer "Top-of-mind" ist, wird von Top-Talenten, Interessenten und vor allem von Bestandskunden immer wieder in Betracht gezogen.
Author: Christopher Thompson
Last Updated: 1703503081
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